Thursday, December 14, 2006

ANNE TERESA DE KEERSMAEKER: "NETT SEIN HILFT DA NICHT"

Nachdenklich: Anne Teresa De Keersmaeker, 2004
(Foto © Tina Ruisinger)



ANNE TERESA DE KEERSMAEKER GASTIERT MIT ROSAS IM THEATER AN DER WIEN. DA SIE IN IHRER HEIMAT UM DIE EXISTENZ IHRER KOMPAGNIE ROSAS UND IHRER TANZSCHULE P.A.R.T.S. ZITTERN MUSS - DENN DER NEUE OPERNINTENDANT HAT IHREN STAMMSITZ AB 2007 IM THEATRE DE LA MONNAIE GEKÜNDIGT - HÄLT SIE AUCH IM AUSLAND MIT EINEM HILFERUF NICHT ZURÜCK. WIE HIER IM INTERVIEW. (e.o.)


Zum Mozart-Jahresausklang präsentiert das Theater an der Wien in Kooperation mit ImPulsTanz von 16. bis 20.12.06 zeitgenössischen Tanz von Rosas, der beinahe jährlich in Wien gastierenden Kompagnie der belgischen Choreographin Anne Teresa De Keersmaeker. Aufgrund ihrer Konzeptentwicklung aus der Musik, ist sie bekannt für die eigenartige Symbiose von Emotionalität und Intellektualität. Die Emotionalität kommt diesmal von Mozart und dessen Konzertarien. Mehr zu Inhalt und Tanzstil in Mozart / Conzert Arias - Un moto di gioia erzählt Keersmaeker im Kapitel artists / talks / life auf dieser Site (www.intimacy-art.com).

Keersmaeker am Theater an der Wien als Signal

Dass Keersmaeker am Theater an der Wien auftritt, kann als Signal verstanden werden: Als Versuch, zeitgenössischen Tanz in etablierte Bühnen einzuführen und ihn dadurch als Kunstform aufzuwerten. Und zwar ein- bis zweimal pro Saison, wenn es wieder zu einer Kooperation zwischen dem Wiener Tanzfestival und Theater an der Wien kommen wird. Ob es allerdings über den Versuch hinaus fußfaßt, wird sich weisen. Denn Liz King hatte mit zeitgenössischem Tanz an der Volksoper keinen einschlagenden Erfolg. Umso größer war jener während der zweijährigen Volksopernballettdirektion von Giorgio Madia mit modern-klassischem Tanz und lediglich zeitgenössischem BodyWork und Akrobatik - beide Choreographen arbeiteten mit jeweils eigenem Ballett der Volksoper. 2005/06 wurden die Ballette der Staatsoper und Volksoper bekanntlich unter Gyula Harangozó fusioniert - Programmniveau und Tanzqualität scheinen stilmäßig rückversetzt noch immer in der Aufbauphase zu stecken.

Repertoirepflege von Zeitgenossen pflegen

Das sommerliche Tanzfestival ImPulsTanz unter dem künstlerischen Leiter Karl Regensburger schafft hingegen mit internationalen zeitgenössischen Stammgästen an Choreographen Auslastungszahlen von über 95%. Allerdings gastieren jene nur maximal drei Aufführungen lang, sodass die Säale immer voll sind. Mit Live-Orchester - worauf Theater-an-der-Wien-Intendant Roland Geyer bei Tanzvorstellungen in seinem Haus besteht - könnte das schon mehr Publikum anziehen, sodass sich Karl Regensburger mit dieser Kooperation auch so etwas wie eine Repertoirepflege des zeitgenössischen Tanzes erhofft, was bisher eigentlich nur Pina Bausch schaffe.

Repertoire konnte aber auch Anne Teresa de Keersmaeker in ihrer Heimat pflegen, denn sie war mit Rosas und der Tanzschule P.A.R.T.S. über 15 Jahre fixer Bestandteil der Brüsseler Oper und damit auch staatlich subventioniert. Nach Bestellung einer neuen Operintendanz kam nun der Bescheid, künftig auf Rosas zu verzichten. Aus finanziellen Gründen heißt es offiziell. "Wenn ein Operndirektor dagegen ist, kann die Subventionspolitik schnell kippen", vermutet Karl Regensburger und verweist auf die traurige Wiener Situation.

Anne Teresa De Keersmaeker in ihrem berührenden Solo Once 2004: © Gérard Uféras

Existenzangst um Rosas und P.A.R.T.S.


intimacy-art: Sie - und damit Ihre Kompagnie Rosas einschließlich Tanzschule P.A.R.T.S. - verlieren ab 2007 mit neuem Intendanten Ihr Stammhaus an der Brüsseler Oper. Nun ist klar, dass Sie für einen privaten Erhalt Finanzierungsmöglichkeiten und einen neuen Stammplatz finden müssen.
ANNE TERESA DE KEERSMAEKER: Wir hätten eigentlich schon einen Platz in Brüssel, wo wir arbeiten. Neben der Schule.
intimacy-art: Haben Sie einen Manager, der das Organisatorische für Sie erledigt?
KEERSMAEKER: Ja.
intimacy-art: Sind Sie optimistisch, dass es auf eine gewisse Art funktionieren wird?
KEERSMAEKER: Wir haben bisher noch keine Lösung gefunden. Wir suchen noch.
intimacy-art: Man liest, Sie versuchen, über die Länder, wo Sie häufig gastieren, Kontakte zu intensivieren, sodass Sie letztenendes globaler ausgerichtet werden. Also noch mehr als zuvor.
KEERSMAEKER: Nun ja, aber wir brauchen dennoch ein Haus. Das alles wirkt sich als großer Unterschied hinsichtlich des Publikumsaufbaus aus. Es ist auch ein budgetäres Problem.
intimacy-art: Man hört immer, wenn der Tanz von einer Institution verabschiedet wird, es läge an den Finanzen. Nun waren Sie an der Brüsseler Oper aber 15 Jahre. Das ist in der Kunst sehr lange und schon daher eine große Leistung. Hinsichtlich der Kunst-an-sich muß man sich aber fragen, ob es für Sie nicht gut sein kann, sich neu zu definieren? War es Ihrer Ansicht nach wirklich nur eine Finanzfrage, die dahinter steckt?
KEERSMAEKER: Es ist hauptsächlich eine finanzielle Frage. Sie gefährdet das Repertoire und die eigene Natur der Kompagnie. Ich muß auch sagen, dass ich das Brüsseler Opernhaus, La Monnaie, wirklich gemocht habe. Ich mochte es, dort hinzugehen, dort zu spielen. Es liegt im Herzen von Brüssel, von Belgien, von Europa. Es ist eine wichtiger Ort, um sich ein Publikum aufzubauen. Ich werde es daher sehr vermissen. Abgesehen davon, dass ich auch gefühlsmäßig sehr daran gebunden bin. Es ist sehr schwierig für mich, für uns.
intimacy-art: Und wie waren die Reaktionen, als publik wurde, dass Sie samt Kompagnie gehen müssen? Waren die Leute Ihrer Umgebung nett, halfen Sie?
KEERSMAEKER (lacht): Du kannst leider ein derartiges Problem nicht lösen, indem die Menschen nett sind.
intimacy-art: Die konkrete Hilfe reicht also nicht aus?
KEERSMAEKER: Nein. Nein.
intimacy-art: Und wie geht es mit der Schule P.A.R.T.S. weiter?
KEERSMAEKER: Auch da ist die Situation sehr unklar. Sie hängt mit dem Gebäude zusammen. Wir versuchen so eine Lösung zu finden, dass die Regierung das Gebäude subventioniert. Sie hat bisher aber keine Antwort gegeben. Wir warten noch.
intimacy-art: Könnte es sein, dass der Staat die Schule subventioniert, die Kompagnie aber nicht?
KEERSMAEKER: Nein, hier geht es konkret um die Subvention des Hauses von Rosas und P.A.R.T.S.. Das wäre eine große Hilfe.

Once 2004: © Gérard Uféras

FAZIT
BELGIEN SCHEINT SICH GEGENÜBER SEINER STAR-CHOREOGRAPHIN STIEFMÜTTERLICH ZU VERHALTEN - ABER ÖSTERREICH HILFT!


Rosas in WIEN:
* Mozart / Concert Arias - Un moto di gioia im Theater an der Wien * Musikalische Leitung: Alessandro De Marchi * Inszenierung & Licht: Jean-Luc Ducourt * Gesangssolisten: Patrizia Biccirè, Olga Pasichnyk, Iwona Sobotka * Wiener Symphoniker, Klavier: Claire Chevallier * Ort: Theater an der Wien * Zeit: 16., 17., 19., 20.12.2006, 19h30