Friday, May 11, 2007

DAVID POUNTNEY: "DASS SICH DAS PUBLIKUM NICHT ENTWICKELT, IST EINE FAULE AUSREDE"

Souveräner Hinterfrager: Intendant der Bregenzer Festspiele David Pountney
(Foto © Gai J
eger)


DIE NEUE DIREKTION DER WIENER STAATSOPER AB 2010/11 STEHT FEST. NACH IOAN HOLENDER WERDEN DER FRANZÖSISCHE MANAGER DOMINIQUE MEYER UND MUSIKDIREKTOR FRANZ WELSER-MÖST DAS HAUS AM RING LEITEN: VOR DER ENTSCHEIDUNG APPELLIERTE REGISSEUR UND INTENDANT DER BREGENZER FESTSPIELE DAVID POUNTNEY NOCH AUF DIE VERANTWORTUNG EINER SOLCHEN BESTELLUNG UND POSITION: ER ATTACKIERT FAULHEIT UND PLÄDIERT FÜR ERZIEHUNG VON KUNSTSCHAFFENDEN, JOURNALISTEN UND PUBLIKUM. SELBST WARTETE ER 2007 BEI DEN FESTSPIELEN MIT EINEM BRITTEN-SCHWERPUNKT UND MIT BRITEN-KUNSTQUALITÄT AUF. (e.o.)


Warum die Wiener Volksoper künstlerisch selten gut läuft

intimacy-art: Zu den Proben von "Der Kuhhandel" an der Wiener Volksoper, einer mit Rudolf Berger ausgehandelten Kooperation von 2004 - spürt man dort mit Robert Meyer als neuem Direktor schon den Umschwung?
DAVID POUNTNEY: Ich bin schon in Kontakt mit ihm bezüglich gemeinsamer Projekte. Und dass dort ein neues Regiment antritt, merkt man auch.
intimacy-art: Aber wahrscheinlich weniger, wenn man als Künstler dort werkt, oder?
POUNTNEY: Es ist zumindest gut zu wissen, dass ein Intendant nicht alles beeinflussen kann. Eine Institution wie diese funktioniert auch alleine weiter.
intimacy-art: Beziehen Sie das ebenso auf sich selbst als Intendant der Bregenzer Festspiele?
POUNTNEY (grinst)
intimacy-art: Aber vielleicht müssen Sie das ja gar nicht, weil Ihre Intendanz bereits verlängert wurde.
POUNTNEY: Bis 2013.
intimacy-art: Werden Sie die Erstaufführungsqualität dieses Stückes von Bregenz von vor drei Jahren in der Volksoper halten können?
POUNTNEY: Ich hoffe. Obwohl ein Repertoire-Theater eine ganz andere Ausgangslage darstellt, wo alle Künstler parallel in anderen Vorstellungen auftreten. Bei den Festspielen konzentrieren sich die Mitwirkenden auf ein Werk.
intimacy-art: Und da man weiss, dass es an der Volksoper nicht immer wirklich gut läuft - bis auf wenige Ausnahmen wie "Die Kluge" ...
POUNTNEY: Ja, Die Kluge war klug gemacht.
intimacy-art: ... oder schöne Inszenierungen wie "Sophie´s Choice" und "A Midsummer Night´s Dream" ...
POUNTNEY: Was aber nicht überrascht, denn Operetten bzw. Komödien wirklich gut werden zu lassen, ist wahnsinnig schwierig. Jeder Wagner ist bedeutend leichter zu inszenieren. Daran erkennt man erst den Fachmann am Regisseur.
intimacy-art: Beziehen sich die künftigen Kooperationen mit der Volksoper weiterhin auf Operetten?
POUNTNEY: Wenn man die Bezeichung unbedingt verwenden muss, dann ja.
intimacy-art: Ja, es wäre zu hoffen, dass es auch einmal in Richtung Musiktheater ginge.
POUNTNEY: Worin besteht bitte der Unterschied?
intimacy-art: Im Grunde gäbe es keinen, aber da viele namhaften Leute Operetten immer konservativ inszeniert sehen wollen, gibt es ihn halt schon: Dann ist "die" Operette eben die "klassische Operette".
POUNTNEY: Ach, das sind Worte.
intimacy-art: Aber bei den Bregenzer Festspielen sind sie innovativ bezüglich dieses Genres, da herrscht tatsächlich der Fortschrittsgedanke.
POUNTNEY: Darauf bauen wir, ja.

David Pountneys Sensationserfolg - sowohl in Bregenz, als auch an der Wiener Volksoper - mit seiner treffend grotesken Regie in Kurt Weills Der Kuhhandel. Hier wird gerade ein Zoom auf den widerständlerischen Dietmar Kerschbaum (Juan Santos) gezaubert (© Dimo Dimov / Volksoper Wien)


Warum die Wiener Staatsoper künstlerisch selten gut läuft

intimacy-art: Hat sich hinsichtlich Ihrer Festspielintendanz-Antrittsvision von der Vereinigung vom Spektakel mit künstlerischer Qualität inzwischen etwas getan?
POUNTNEY: In praktischem Sinn haben wir neben der Seeoper das KAZ-Programm (Kunst aus der Zeit) sehr verbreitert, d.h. mehr Stücke auch außerhalb der Festspielzeit gezeigt, - wie zuletzt die surreale Ayres-Oper The Cricket Recovers im März 07. Auf KAZ hat das Publikum insgesamt mit über 90 Prozent Auslastung reagiert. Was umso erfreulicher ist, da es mit Modernem für gewöhnlich nicht so einfach läuft.
intimacy-art: Besonders in Vorarlberg.
POUNTNEY: Ich weiss jetzt nicht, warum Sie das sagen. Ist es etwa in Wien leichter?
intimacy-art: Nein, in Wien wäre es im Gegensatz zu anderen Weltstädten auch schwer.
POUNTNEY: Roland Geyer meint, es gäbe gerade tausend Leute in Wien, die eine neue Oper ansehen.
intimacy-art: Ach, Sie sind auch mit Roland Geyer in Kontakt?
POUNTNEY: Das habe ich gelesen.
intimacy-art: Roland Geyer programmiert am Theater an der Wien aber dennoch Neues, anstatt es von vornherein tot zu reden.
POUNTNEY: Und doch sagt er das. Somit könnte man mit einer modernen Oper eigentlich nur eine Vorstellung ausverkaufen.
intimacy-art: Tja, wenn man die stagnierende Publikumsentwicklung wie in der Staatsoper einfach akzeptiert, verwundert es nicht, dass es so jemand dann doppelt schwer hat. Das wird zudem durch den Geschmacks- und Altersschnitt der Journalisten bei den Staatsoper-Pressekonferenzen als exaktes Pendant zum Publikum gespiegelt. Im Theater an der Wien sind auch ein paar Jüngere bzw. Innovativere darunter.
POUNTNEY: Wäre das wahr, müßte die Pressekonferenz der Staatsoper aus einem Drittel Japanern bestehen.
intimacy-art: Es sind dort zumindest überdurchschnittlich viele Japaner. Bei Peter Sellars kommen auch asiatische Journalisten. Aber eher wegen seines Faibles für asiatisches Tanz/theater. - Doch zurück zu Ihren Visionen ...
POUNTNEY: Ja, meine Vision hat sich entsprechend entwickelt und mit meiner Amtsverlängerung kann ich mit größerer Freiheit und Perspektive planen und etwas erschaffen. Eine Vision ist also kein herbeischwimmender Fisch im Wasser, sondern tatsächlich etwas Aufzubauendes.

Szene zwischen Elefant (Omar Ebrahim) und Wühlmaus (Allison Bell) aus der KAZ-Ayres Oper The Cricket Recovers, mit der Pountney seine Vision von einer provokativ-fortschrittlichen und qualitativen Opernauffassung im März erweitert umgesetzt hat (© andereart)

David Pountney als lässiger "Hausherr" der Bregenzer Festspiele (© Forster, IMG ARTISTS – EUROPE, UK)


Wie die Wiener Staatsoper künstlerisch laufen sollte

intimacy-art: Tangiert Sie die Diskussion um die Staatsoperndirektoren-Neubesetzung?
POUNTNEY: Natürlich. Die Wiener Staatsoper ist eines der wichtigsten Opernhäuser. Jeden Kulturineressierten sollte angehen, dass so ein Haus gut, interessant und damit verantwortungsvoll geleitet wird.
intimacy-art: Dass Sie sie leiten, würde sich wahrscheinlich parallel nicht ausgehen, oder?
POUNTNEY: Ich spreche nicht von mir. Aber ich halte es für entscheidend von der Regierung, keine diletantische Wahl zu treffen.
intimacy-art: Da höre ich heraus, dass Sie sich mehr Innovation und ein breiteres Publikum wünschen.
POUNTNEY: Nach zehn Jahren als Leiter der Nationaloper in London, weiss ich, dass für so eine Großstadtoper grundsätzlich zwei Maßstäbe gelten: Wieviel eine Wiener Staatsoper zum Kulturleben einer Stadt, hinsichtlich Aufregung, Innovation, Inspiration, Stimulation, beiträgt; Und auf welchem Niveau sich ihr durchschnittliches Programm befindet: d.h. wie der Standard an irgendeinem Arbeitstag ist. Dieses Standardniveau mit einem guten Team zu entwickeln, ist unglaubliche Knochenarbeit, nicht die Premieren und Starauftritte zu planen, wofür man allenfalls gute Ideen haben muss.
intimacy-art: Deshalb gehe ich auch gern in Durchschnittsvorstellungen, obwohl man Journalisten immer zu den Premieren einlädt, die dann in den Kritiken ein völlig verzerrtes Bild zu dem abgeben, was das Publikum gewöhnlich sieht. Sie auch?
POUNTNEY: Ich gehe ungern in solche Abende, weil sie in der Regel furchtbar sind. Nicht nur in der Wiener Staatsoper, sondern in jedem derartigen Haus. Meine eigenen Inszenierungen, die inzwischen zum Repertoire gehören, würde ich dort zum Beispiel nie wieder besuchen.
intimacy-art: Wirklich?
POUNTNEY: Mein Cavalleria rusticana / Pagliacci läuft zum Beispiel in Berlin seit Jahren in inzwischen völlig neuer Besetzung, wo vielleicht noch fünf Prozent meiner Inszenierung vorhanden sind. Es wäre ein Albtraum, das wieder zu sehen. Um da die Qualität zu halten, muß man die richtigen Profis engagieren, die das Innere einer Produktion am Leben zu erhalten vermögen. Darum geht´s.
intimacy-art: Sie würden sich dieses Durchschnittsniveau an der Staatsoper also höher wünschen?
POUNTNEY: Es wäre der Job des neuen Direktors, der dafür ein einerseits höchstqualifizierter, echter Fachmann mit brillanten Ideen, gutem Geschmack sein muss, und andererseits wissen muss, wie man so eine Riesenmaschine im Sinne des gut gebackenen täglichen Brots zu leiten hat.
intimacy-art: Würden Sie sich also dafür interessieren? - Jetzt kommt wahrscheinlich jemand anderer, aber vielleicht danach?
POUNTNEY: Dann bin ich dafür zu alt.
intimacy-art: Wieso? Bei Ioan Holender spielte das ja auch keine Rolle.

Bühnenbild der heurigen Uraufführung Tosca-Puccini-Seeoper von Johannes Leiacker unter der Regie von Philipp Himmelmann (Fotos: © Dietmar Mathis)


Hoffnung auf neue Erzählformen-Akzeptanz durch neue Publikumsschichten

intimacy-art: Sie inszenieren trotz Ihrer Intendanz weiterhin als international bekannter Regisseur an großen oder innovativen Häusern: an der Ruhrtriennale oder 2008 an der Wiener Staatsoper Verdis "La Forza del destino": Zur persönlichen Befriedigung oder aus Werbezwecken?
POUNTNEY: Beides. Die Praxis des Opernregisseurs ist für mich noch immer faszinierend und stimulierend. Und der enge Kontakt mit anderen Theatern, vielen Sängern, anderen Intendanten, dem internationalen Künstlerkreis, dient auch den Festspielen. Diese Kombination ist also sehr gesund.
intimacy-art: A propos Sänger - in der Wiener Staatsoper arbeiten Sie zum Beispiel mit dem Topstar Carlos Álvarez zusammen. Bei den Festspielen scheint die Inszenierungsform wichtiger zu sein. Begründen Sie das mit einer Qualität oder mit einer Entschuldigung?
POUNTNEY: Wir haben durchaus sehr bekannte Sänger: Nadja Michael wird heuer die Tosca singen, Zoran Todorowic den Maler. Die singen ständig in den Top-Häusern. Auf der Seebühne unter Freiluft zu singen, ist für einen Sänger natürlich eine Herausforderung. Dadurch, dass wir aber drei Besetzungen haben, umfaßt sie Top-Qualität bzw. "Namen", über "Stabile" bis zu Newcomern als Chance. Wichtig ist, dass alle in einem harmonischen Team arbeiten. Nicht wie in der Staatsoper, wo die Leute einfliegen, singen und Gage kassieren. Das ginge in Bregenz nie. Die Sänger müssen sich an die Akustik gewöhnen, daran, dass sie den Dirigenten nicht sehen, wie mit den ganzen Räumlichkeiten und Distanzen umzugehen ist. Die Leute müssen also bereit sein zu "arbeiten", zu proben, was manche Stars nicht wollen.
intimacy-art: Das Resultat ist auch herzlicher. - Aber noch mal zu den Inszenierungsformen: Ich bin als relativ junger, wobei noch nicht ewiger Opernfan, der Prototyp für den erhofften künftigen Publikumszuwachs: Als dieser interessiere ich mich vor allem für neue Formen und nicht für "Wiederholte" - wie der immer vorgehaltene, unbewegbare "Publikumsdurchschnitt" seitens Staatsoper sein soll. Ist das wirklich das Durchschnittspublikum?
POUNTNEY: Nein. Dieses Publikum ist eines, das in Wien Tradition hat, bzw. gezüchtet wurde und wird. Nach Bregenz kommt jedoch prinzipiell ein anderes Publikum: aus Deutschland, der Schweiz und auch Österreich, das nicht die Chance hat, vier- bis sechsmal im Jahr in die Oper zu gehen und zu vergleichen. Es kommt zu einem einmaligen Event.
intimacy-art: Und doch sind die Festspiele gerade wegen des alljährlichen Schwerpunkts mit Sonder- und Feinheiten auch fürs Fachpublikum interessant.
POUNTNEY: Ja, wahrscheinlich haben dennoch nur wenige Leute die Chance, wirklich das ganze Paket zu sehen. Ich vergleiche das mit der Identität eines Restaurants, das sozusagen ein ganzes Menü anbietet, selbst wenn nicht jeder Kunde ein Ganzes genießen kann.
intimacy-art: Glauben Sie aber, dass die künftige Opernbesucher-Generation generell sensibler gegenüber Inszenierungsformen sein wird, da die Jugend über den vielkonsumierten Film, der die herkömmlich tradierten Erzählformen durch Zeit- und Handlungssprünge revolutioniert, ganz anders wahrzunehmen gewohnt ist? - Oder siegt das evolutionäre Naturgesetz, dass der Mensch in seiner Neugierde irgendwann stehen bleibt und sagt: "Ich will das nur noch so sehen!"
POUNTNEY: Der einzige Sinn der Kunst liegt überhaupt im Verantwortungsbewußtsein des Künstlers, den Ist-Zustand infrage zu stellen. Deshalb braucht die Gesellschaft die Kunst. Sie steht für das Hinterfragen aller gegebener Fakten, indem sie ja auf Vorstellungskraft basiert, die wiederum auf Projektionen von Ideen beruht. Deshalb ist die "Sicherheit" in der Kunst unmöglich.
intimacy-art: Und langweilig.
POUNTNEY: Ja.
intimacy-art: Dennoch wird aber andauernd "Sicherheit" produziert. Also: Auf "Nummer sicher" gegangen.
POUNTNEY: Ja, aus reiner Faulheit. Das hat nichts mit Kunst zu tun.
intimacy-art: Dann ist es also immer nur eine Ausrede seitens verantwortlicher Direktoren und Intendanten, dass das Publikum das "so gewohnt" sehen wolle?
POUNTNEY: Eine faule Ausrede. Das Publikum obliegt wie in allen Bereichen - wie auch der Politik - der Verantwortung jener Person, die ein wichtiges Amt bekleidet. Als künstlerischer Leiter, Musikdirektor, Leiter der Wiener Staatsoper, Intendant der Bregenzer Festspiele mußt du das Publikum führen. Du bist nicht da, um den Rückschritt zu forcieren und alles einschlafen zu lassen.
intimacy-art: Nun haben Sie aber auf der Schneebühne in Lech ein alljährliches Event, wo die Sänger bei 20 Grad Minus singen müssen. Verhilft so etwas wirklich zur Sensibilisierung des Musik- und Kunstgeschmacks?
POUNTNEY: Lassen Sie uns nicht darüber philosophieren, inwiefern das Kunst ist. Das ist reines Marketing, denn wir müssen jedes Jahr 200.000 Karten verkaufen.
intimacy-art: Ist es speziell am Land wichtig, die Leute mit solchen Maßnahmen zur Kunst zu bewegen?
POUNTNEY: Als Festspiele brauchen wir diese reinen Aufmerksamkeitsaktionen. Um zu sagen, hierbei handelt es sich nicht um einen Tempel, wo man vorher das Eintrittswort kennen muss, um überhaupt eingelassen zu werden, sondern um die Möglichkeit, für jedermann Zugang zur Kunst zu finden. Und vielleicht entwickelt er sich dabei dann weiter.
intimacy-art: Leben Sie selbst das ganze Jahr in Vorarlberg, und gibt es einen Unterschied zum urbanen Leben?
POUNTNEY: Sicher gibt es einen Unterschied. Privat lebe ich in Frankreich, in tiefster Landschaft.
intimacy-art: Sie mögen also das Landleben wirklich.
POUNTNEY: Natürlich. Vorarlberg ist auch sehr schön.
intimacy-art: Sind Sie dort nur im Sommer?
POUNTNEY: Nein, immer wieder.
intimacy-art: Die meiste Zeit verbringen Sie also wo?
POUNTNEY: In Bregenz.
intimacy-art: Ihr innerer Heimatpol ist aber Frankreich?
POUNTNEY: Ja, denn dort ist mein Garten, und der ist mir das Wichtigste.

Das Auge steht in Tosca für den Fokus auf den Überwachungsstaat und die notorische Bindung gleich madonnenhaft-erstarrten Blicks: wenn das Gift der Eifersucht wirkt, bleibt die festgefügte Welt stehen und zerfällt vom Moment der religiösen Fantasien in ihre Bestandteile. - Gleich dem Sturz der Diva Tosca


Homosexualität als Motiv zum anderen (sensibleren) Kunstausdruck?

intimacy-art: Nun zum heurigen Benjamin-Britten-Schwerpunkt: Wodurch zeichnet sich denn überhaupt Brittens Musik aus?
POUNTNEY: Ich sage das nicht aus Patriotismus, aber er ist tatsächlich einer der wichtigsten Opernkomponisten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Vor allem durch seine Erzählkraft. Das ist für mich im Grunde der Hauptimpuls, eine Oper zu machen, indem man eine Geschichte gerne durch Musik erzählen würde. Das versteht Britten ganz genau, in seinem erste Werk Paul Bunyan, und in Tod in Venedig, seinem letzten. Man spürt, wie instinktiv er grundsätzlich war: Ein Theaterkomponist, den nicht das akademische, intellektuell-musikalische Spiel antrieb. Und dieser Instinkt bleibt für mich überhaupt das wichtigste am Theater.
intimacy-art: Nun sind Sie ja auch Leos-Janacek-Spezialist. Und mich hat speziell Brittens "A Midsummer Night´s Dream" an Janaceks Lautmalerei in "Das schlaue Füchslein" erinnert. Gibt es auch für Sie eine Nähe?
POUNTNEY: Eigentlich nicht. Janacek ist meiner Meinung nach das größere Genie als Britten. Janacek komponiert mit seinem ganzen Herzblut, seinem Fleisch, seiner Leidenschaft.
intimacy-art: Ja, er hat auch privat irrsinnig gelitten, mit ewigem Liebeskummer.
POUNTNEY: Das war aber, glaube ich, nicht so wichtig dafür. Er konnte einfach seine Leidenschaft für das Leben unglaublich direkt als Musik ausdrücken. Britten kämpft dagegen mit einer sehr starken Repression. Teilweise wegen seiner Sexualität, aus der damaligen Schwierigkeit heraus, schwul zu sein, und seiner gleichzeitig - typisch englischen - Bestrebung, - also im Kampf gegen das Establishment - von dieser Gesellschaft respektiert zu werden. Seine ganze Musik, sein ganzes Theater schöpft aus dieser Repression.
intimacy-art: Das Thema des Schwul-seins kommt auch inhaltlich im "Tod in Venedig" vor, weil ja schon der Autor des zugrunde liegenden Romans, Thomas Mann, homosexuell war. Da nun prinzipiell zwischen Sexualität und kreativer Inspiration eine Beziehung besteht: Lässt sich denn ohne das Wissen um Brittens Homosexualität, ein Britten-Werk überhaupt verstehen, geschweige denn, inszenieren? - Damit spiele ich auf "Billy Budd" in der Staatsoper an, wo die Homosexualität unter den Matrosen deutlich wird.
POUNTNEY: Nein. Dieses andauernde Zurückführen auf das Privatleben eines kreativen Menschen, ist die blödste Methode von Dramaturgie-Besessenheit. Der Einfluß ist natürlich für den Komponisten oder Schriftsteller wichtig, so wie er mit eigenen Problemen kämpft, was erst die Kunst heraus treten lässt. Wir müssen aber nur verstehen, was da heraus kommt, nicht in den Mechanismus der Problematik zurück gehen. Denn das würde das Verständnis und somit die Wirkung des inszenierten Werks sehr begrenzen.
intimacy-art: Aber im "Tod in Venedig" verliebt sich ein Mann konkret in einen Knaben. Das ist ja nun wirklich ein klassisches Homosexuellen-Phänomen.
POUNTNEY: Man muss dennoch nicht wissen, dass Britten homosexuell war. Man erkennt ganz klar das Problem der Schaffensblockade, die der Künstler Aschenbach hat, durch die Parallele der fehlenden Möglichkeit, sich sexuell auszudrücken zu können bzw. Befriedigung zu finden.
intimacy-art: Intensiviert das der Knabe noch?
POUNTNEY: Nein, er inspiriert ihn. Das eins-zu-eins auf den Britten zu beziehen, beschränkt aber die Bedeutung. Wenn man einen Künstler interpretiert,sollten sich die Türen eher öffnen, sodass die Botschaft universell wird.
intimacy-art: Mir persönlich gibt es aber mehr, wenn ich weiss...
POUNTNEY: Nein.
intimacy-art: O.k., dann nicht.
POUNTNEY: Ich glaube nicht, nein, nein. Weil es dann nur biografisch ist. Und dann wäre es im Endeffekt trivial. Denn jeder einzelne Mensch ist ja nur ein banaler Mensch, mit seinem Frühstück, seinem Sex, seinen Gesundheitsproblemen.
intimacy-art: Ich kenne diese Interpretation von einem Kunstwerk, das erst zu einem großen wird, wenn man ganz viel hinein projizieren kann. Weshalb es dann ja auch auf viele Menschen wirkt.
POUNTNEY: Ein großes Kunstwerk muss ein eigenes Leben haben.
intimacy-art: Ich persönlich erlebe ein Werk aber intensiver, wenn ich es mit einem echten Problem eines echten Menschen benennen kann. Das Problem ohne Werk würde mich aber kaum interessieren.
POUNTNEY: Schostakowitsch ist da auch sehr interessant. Man kann viel zurückführen in seinen Werken hinsichtlich sowjetischer Unterdrückung. Besser ist es aber, wenn man es nicht weiss, da man dann einfach nur hört, wie die Musik ist, die dann alles bedeuten kann.
intimacy-art: Gut. Ein weiterer Komponist ist Michael Tippett, der wie Shakespeare und Lord Byron homosexuell war. Da es sich hier also um das Who is Who der britischen Kunstikonen handelt: Sind homosexuelle Künstler mit ihrer angeblichen Sensibilität tatsächlich fähiger zur Kunst?
POUNTNEY: Nein. Das ist ein absoluter Unsinn. Das sind einfach Menschen. Was wollen Sie damit sagen? Dass ein Heterosexueller weniger sensibel sei als einSchwuler?
intimacy-art: Ja. Bei den Männern würde ich das durchschnittlich verglichen schon sagen.
POUNTNEY: Wie können Sie diese sehr chauvinistische Behauptung rechtfertigen?
intimacy-art: Indem man viele heterosexuelle Männer kennen gelernt hat, die sich nicht für Kunst interessieren.
POUNTNEY: Viele Frauen aber auch.
intimacy-art: Na gut, bleiben wir aber bei den Männern.
POUNTNEY: Wieso?
intimacy-art: Weil sehr viel Lesben Künstlerinnen sind, die eher tough als sensibel sind.
POUNTNEY: Sie sind aber auch in der Kunstwelt, weil jene toleranter ist.
intimacy-art: Und weil Künstler auch selbst offener sind, solche Gefühle zuzulassen und mehr experimentieren zu wollen.

Die Hausoper, inszeniert von Yoshi Oida, stammt vom heurigen Schwerpunkt-Komponisten Benjamin Britten, wo das Homosexuellenthema in Autor Thomas Manns Tod in Venedig für die Künstlerblockade steht, die sich löst, nachdem sich Schriftsteller Aschenbach in "die Schönheit" eines Knaben verliebt (Plakat: © freude)


GB-Kunsttrend 1:
Böse-anarchische(s) Musik(theater)


intimacy-art: Wieso haben Sie die schöne Oper "A Midsummer Night´s Dream" von Britten eigentlich nicht als Oper ins Programm genommen, sondern als Theaterstück?
POUNTNEY: Mehr als zwei Britten-Opern können wir uns finanziell nicht leisten. Abgesehen davon, sagen Sie mir bitte nicht, dass Brittens Oper besser sei als Shakespeares Stück! Es ist sicher nicht die interessanteste Britten-Oper, sie ist höchstens charmant.
intimacy-art: Sind die musikalischen Strömungen aus Großbritannien im Programm insgesamt ein repräsentativer Querschnitt an momentan dort vorherrschender Qualität?
POUNTNEY: Ja. Es ist "ein" repräsentativer Querschnitt. Man kann nicht alle Möglichkeiten auf einmal zeigen. Es wäre natürlich interessant, eine große Oper von Birtwistle zu bringen. Das bleibt uns als finanzielle und künstlerische Herausforderung also noch zu erringen.
intimacy-art: Aber, was macht das Moderne aus?
POUNTNEY: Die ganz neue Oper The Shops von Edward Rushton etwa, die gerade erst komponiert wird und rasant-komisch von den düsteren Obsessionen eines Sammlerdiebs handelt.
intimacy-art: Und dann gibt es auch Minimal-Elektromusik, worin ja Ihr Sohn tätig ist. Wirkt er auch mit?
POUNTNEY: Er wird eine Techno-Clubnacht zum Tanzen unter dem Titel Culture Shock machen. Drum-and-Base-Musik, die er auf Computer komponiert hat.
intimacy-art: Hat er Komposition gelernt?
POUNTNEY: Nein, er ist Autodidakt und hat einfach damit angefangen.
intimacy-art: Wie alt ist er?
POUNTNEY: 24.
intimacy-art: Das ist auffällig, dass zwanzig- bis dreißigjährige Leute in ganz Europa jetzt immer öfter als Autodidakten entweder zufällig oder aus Protest selbst zu komponieren beginnen, weil ihnen das, was sie auf den Musikuniversitäten lernen müssen, nicht zusagt. Die polnische Jazzgruppe Contemporary Noise Quintet (im Gespräch auf intimacy-art.com / artists / talks / politics) hat ähnliche Musiker-Biografien. - Wie heißt Ihr Sohn?
POUNTNEY: James Pountney.

Das zweite Britten-Theaterwerk bei den Festspielen ist die Operette Paul Bunyan, worin die Animationsfilmer Gebrüder Quay das Bühnenbild verantworten und Nicolas Broadhurst Regie führt. - Immer mehr Themen und Künstler aus Film und Fernsehen trifft man mittlerweile in der Kunst an ... (Plakat: © freude)


GB-Kunsttrend 2: Künstlerischer Fernsehspot(t)

intimacy-art: Ein weiterer Trend ist über zwei Programme bzw. einen Komponisten die starke Konnotation mit dem Fernsehen: The Gob Squad kommt inhaltlich und formal mit einer Medien-Event-Satire, die "Paul-Bunyan"-Operette hat sie wegen der Animationsfilmer Gebrüder Quay als Bühnenbildner, und Michael Nyman im Konzert als Peter-Greenaway- Filmkomponist. - Gibt es in Grossbritannien eine positive Wechselwirkung zwischen Kunst und Fernsehen?
POUNTNEY: Das ist bis zu einem gewissen Grad dasselbe. Denn beides sind Medien. Wobei das Fernsehen natürlich meistens totalen Shit zeigt. Es könnte aber Kunst sein bzw. dazu werden. Ich halte allerdings auch die Entwicklung in der Bildenden Kunst für wirklich grausam. Sehr viel unglaublich schlechte Kunst ist einfach als schlecht gemachtes Video im Umlauf. Warum so etwas akzeptiert wird, verstehe ich überhaupt nicht.
intimacy-art: Was meinen Sie da genau, Musik-Videos im Fernsehen?
POUNTNEY: Diese Ramsch-Videos in Kunstgalerien. Probieren sollen sie bitte zuhause, zeigen können sie etwas Gelungenes. Für solchen Diletantismus habe ich keine Geduld.
intimacy-art: Zur konkreten Verbindung zwischen Oper und Fernsehen habe ich in der Wiener Kammeroper auch etwas sehr Schreckliches gesehen: Von Jonathan Dove, in Auftrag gegeben vom Kultursparten-Sender Channel 4, zu Prinzessin Dianas Tod. Gefällt Ihnen das?
POUNTNEY: Das Stück? Nein.
intimacy-art: Die Kammeroper hat es mit einer guten Oper von Peter Maxwell Davies kombiniert.
POUNTNEY: Eight Songs For A Mad King. Die ist toll, ja.
intimacy-art: Die die Regisseurin zusammen mit der ersten Oper in einem Riesen-Fernseher-Bühnenbild gezeigt hat. Bei all den britischen Fernseh-Querverweisen wollte ich jetzt einfach wissen, ob das britische Fernsehen generell besser ist als das österreichische?
POUNTNEY: Das kann ich kaum beantworten, weil ich fast nie fern sehe. Weder in Österreich, noch in Großbritannien. Aber Fernsehen ist ein Medium, über das man mit vielen Leuten kommunizieren kann. Deshalb sollten Künstler versuchen, dieses Medium zu nutzen. Wäre es gut gemacht, könnte es sehr viele Leute erreichen.
intimacy-art: Man sagt generell, die BBC wäre das beste öffentlich-rechtliche Fernsehen. In Österreich sinken indessen die Quoten immer mehr, sodass die Menschen stattdessen - ohne "Fernseh-Werbung" - immer lieber ins Theater oder in Kulturveranstaltungen gehen.
POUNTNEY: Diese Entwicklung gibt es auch in England.
intimacy-art: Und Sie nehmen sich als Starregisseur nun eines kleineren Fußballstar-aus-dem-Fernsehalltag-Projektes an: der KAZ-Oper von Benedict Mason "Playing Away", zusammen mit dem dank vieler Einflüsse frischen Kristjan Järvi als Dirigent. Wie kam es zu der Verbindung?
POUNTNEY: Über die Diskussion, mit wem wir diese sehr aufwändige Fußballoper produzieren könnten, sind wir im Kontakt mit St. Pölten auf die Tonkünstler und Järvi gekommen. Ich halte ihn auch für wunderbar.
intimacy-art: Haben Sie selbst eine Beziehung zum Fußball?
POUNTNEY: Nicht besonders, nein. Ich schau mir eher Cricket an. Früher habe ich das auch gespielt.
intimacy-art: Die zweite Zusammenarbeit läuft mit der Josefstadt: Handelt es sich dabei um eine ideale Ergänzung zum Festspielprogramm oder um einen Zwang, weil Festspielpräsident Günter Rhomberg auch im Aufsichtsrat der Josefstadt sitzt?
POUNTNEY: Nein, so banal sind wir nicht. Herbert Föttinger versucht die Josefstadt wieder auf einen interessanten Weg zu bringen, und da nicht nur zur Josefstadt, sondern auch zum Burgtheater, seitens Kornmarkttheater eine alte Kooperationstradtion besteht, finde ich es schön, das wieder aufleben zu lassen.
intimacy-art: Obwohl Sie den Kornmarkt doch für die Operette im Sommer positioniert hatten, und jetzt gibt es dort auch wieder Theater. Wird es also auch künftig dort beides geben?
POUNTNEY: Von "immer" würde ich nie reden.

The Opera Group (s. auch Fotos oben) ist die aufsehenerregende schrill-schräge Musiktheater-Formation, die in Grossbritannien momentan den Ton der Moderne angibt: Im brandneuen Werk The Shops von Edward Rushton, geht es um die Obsession eines Kunstsammler-Diebs. Hier: Opern-Videoausschnitte vergangener Produktionen wie etwa Wilhelm Buschs Die fromme Helene und Die Nase (© Chris Nash, u.a.)





FAZIT
DAVID POUNTNEY HAT DEN MIX AUS SPEKTAKEL UND OPERNEXKLUSIVITÄT VERFEINERT. 2007 SCHÖPFTE ER DAFÜR AUS SEINER BRITISCHEN HERKUNFT. 2008 WIRD ER MIT ERNST KRENEK EINEM ÖSTERREICHER UND DER ERSTEN ABENDFÜLLENDEN ZWÖLFTONOPER DER GESCHICHTE FRÖNEN. - JEDES JAHR EINE BESONDERE FREUDE, DIE BREGENZER FESTSPIELE.


Vor Festivalstart im Rahmen des Bregenzer Frühlings im KAZ-Programm:
* TANZ: Tosca Remix (Uraufführung) * Von und mit: compagnia toula limnaios * Tanz der Kompagnie des Berliner Shooting-Tanzstars Toula Limnaios im Tosca-(Hausvorstellungs)Bühnenbild * Musik: Komponist Ralf R. Ollertz-Remix der Aufnahme des Spiels auf dem See * Ort: Festspielhaus Bregenz * Zeit: 29.5.2008

Festspiel-Highlights 2008, 23.7.-23.8.:
* Tosca * Von: Giacomo Puccini* Regie: Philipp Himmelmann * Ort: Seebühne
* Karl V * Von: Ernst Krenek * Ort: Festspielhaus * Zeit: ab 24.7.2008 (Premiere)
* Eine Marathon-Familie * Uraufführung - Kooperation Neue Oper Wien / KAZ * Musik: Isidora Zebeljan (schrieb Filmmusik für Emir Kusturica!) * Regie : Nicola Raab * Dirigat: Walter Kobéra * Mit: Martin Winkler, Hubert Dragaschnig, etc. * Ort: Werkstattbühne * Zeit: 20., 22., 23.8.2008: 20h
* Orchesterkonzerte mit dem Wiener Symphonieorchester:
* Mit: Carlo Rizzi * Ort: Festspielhaus Bregenz * Zeit: 28.7.2008
* Mit: Chris Moulds * Ort: Festspielhaus Bregenz * Zeit: 17.8.2008
* Mit: Xian Zhang (Dirigentin!) * Ort: Festspielhaus Bregenz * Zeit: 4.8.2008
Orchesterkonzerte mit den Symphonieorchester Vorarlberg:
* Mit: Gérard Korsten * Ort: Festspielhaus Bregenz * Zeit: 10.8.2008


Nachlese:
Festspiel-Highlights 2007, 18.7.-19.8.:

* Tosca * Von: Giacomo Puccini* Regie: Philipp Himmelmann * Ort: Seebühne
* Tod in Venedig * Von: Benjamin Britten / Thomas Mann * Regie: Yoshi Oida * Ort: Festspielhaus
* Paul Bunyan * Von: Benjamin Britten / Erich Fried/W.H. Auden * Regie: Nicholas Broadhurst * Ort: Kornmarkttheater
* Britten-Schostakowitsch-Dünser-Konzerte * Mit: Wiener Symphoniker, Symphonieorchester Vorarlberg und des Bayrischen Rundfunks * Ort: Festspielhaus
* Ein Sommernachtstraum * Von: William Shakespeare * Mit: Thalia Theater Hamburg * Ort: Festspielhaus
* Made in Britain Vol.2 * Mit: Österreichisches Ensemble für Neue Musik * Werke von Harrison Birtwistle, Peter Maxwell Davies, u.a. * Ort: Werkstattbühne
* The Shops * Von: The Opera Group * Ort: Werkstattbühne
* Playing Away * Von: Bendedict Mason * Regie: David Pountney * Dirigent: Kristjan Järvi * Mit: Tonkünstler Orchester Niederösterreich * Ort: Werkstattbühne