Monday, September 18, 2006

AIRAN BERG: "ICH FÜHRE KEINE VERSCHLEISSFABRIK"



Photo: Airan Berg vor Graffiti-Schauspielhaus-Wand

BEVOR NOCH-SCHAUSPIELHAUS-WIEN-LEITER AIRAN BERG KUENSTLERISCHER LEITER DER "KULTURHAUPTSTADT LINZ 2009" WIRD,
FEUERT ER NEBEN EINEM SPANNENDEN PROGRAMM 06/07 ZÜNDENDE WORTE ZUR LAGE DER WIENER SZENE AB. (e.o.)

intimacy-art: Sie haben gerade das Programm Ihrer letzten Saison im Schauspielhaus Wien als Künstlerischer Leiter vorgestellt. Was für Gefühle haben Sie dabei?
AIRAN BERG: Lachende mit dem Glauben, ein starkes Zeichen in die Theaterlandschaft gesetzt zu haben, wovon anfangs niemand dachte, es würde mit Erfolg gekrönt sein. Trotz aller Widerstände, die es in so einer Stadt gegen das Neue oder Andere gibt, setzte sich dieses Programm durch. Traurige Gefühle, weil diese Theaterstimme, die die Vielfalt unserer Gesellschaft spiegelt und dabei international wie kaum ein anderes Haus im deutschsprachigen Raum ist, wahrscheinlich wieder verloren gehen wird.

Auslastungsrückgang wegen Barrie Kosky?

intimacy-art: Die Zahlen der letzten Saison zeigen gegenüber den Vorjahren einen Rückgang in Stückeanzahl und Besucherzahlen, während die insgesamte Auslastung mit 87% um zwei Prozent gestiegen ist. Sie begründen es mit Wiederaufnahmen, mehr Auslandsgastspielen, und dramaturgisch reduzierten Zuschauerplätzen ...
BERG: Und weil wir eine viel kürzere Saison hatten. Es fehlte ein Monat.
intimacy-art: Ja, Sie sagten wegen der Baustelle am Haus. Könnte aber auch der Abgang des früheren Co Direktors Barrie Kosky damit zu tun haben?
BERG: Überhaupt nicht, wenn man die Auslastungszahlen im Detail ansieht, waren jene nach ihm viel höher. David Maayan und Constanza Macras haben hier noch größere Zuschauererfolge als er gefeiert. Mit Barries Stücken waren wir dafür aber international unterwegs. Von der Akzeptanz des Publikums und von der Kritik her war wahrscheinlich das letzte Jahr überhaupt die beste Saison. Es funktionierte auch leichter.
intimacy-art: Kosky beklagte damals künstlerische Differenzen mit Ihnen, meinte aber noch: "Airan Berg kann es alleine sicher besser leiten."
BERG lächelt: Naja, künstlerische Differenzen... wir haben sogar Differenzen, was das betrifft. Ich denke, die Haus-Leitung war meine Aufgabe. Barrie war der Hausregisseur. Ich habe und hätte ihn gerne bis zum Ende hier gehabt. Ohne Barrie und diese gemeinsamen Jahre, wäre das Schauspielhaus-Profil viel schwieriger zu etablieren gewesen. Denn ich hatte ihn ja geholt, weil mir sein Stil für diese Stadt passend erschien. Er ist letztendlich ein Theaterpurist, und seine Verbindung zur klassischen Musik ist für Wien perfekt. Jetzt feiert er in Sydney Kritiker-Erfolge.
intimacy-art: Er hat einen der schönsten Regiestile, die es überhaupt gibt. Doch haben Sie den Bogen gut gezogen, indem im letzten Jahr wieder etwas Neues am Schauspielhaus passierte. Das war interessant, weil Kosky doch sehr viel gemacht hatte.
BERG: Ja, die Vielfalt wurde nach ihm größer, und das weiß das Publikum zu schätzen.
intimacy-art: Und das Niveau wurde beibehalten, nur hatte es einen anderen Charakter.
BERG: Ja, Veränderung ist ja nicht immer negativ. Selbst wenn sie in Österreich oft so gesehen wird. Man muß Wut und Enttäuschung über das Ende einer intensiven Theaterbeziehung, wie in jeder anderen Beziehung, einfach in positive Energie ummünzen.
intimacy-art: Man soll aber schon ein bißchen trauern, wenn etwas gut war, oder?
BERG: Sicher, da es mir aber darum ging, positive Energie in diese Stadt zu streuen, ist die gefühlsmäßige Umkehrung klüger, denn die macht auch wieder stark nach innen.

Sprechtheater - So altmodisch wie "Ausländer raus!"

intimacy-art: Minderheiten- und Ausländerintegration scheinen in der Programmgestaltung eine große Rolle zu spielen. Ist Ihnen Politik im Theater wichtiger als Gefühl und Fantasie?
BERG: Das kann man nicht trennen. Wir haben hochpolitische Stücke auf extrem fantasievolle Art mit sehr starken Gefühlen besetzt. Was dem Theater im deutschsprachigen Raum aber generell fehlt, ist Gefühl. Und viele haben gesagt, das Schauspielhaus habe dem Theater die Gefühle zurück gegeben. Fantasie, die Form, ist mir sehr, sehr wichtig, genauso wie der Inhalt. Deshalb arbeiten hier sehr unterschiedliche Künstler, die nicht nur "Sprechtheater" machen, sondern auch mit Bild, Bewegung und Live-Musik arbeiten. Geradezu grenzenlos ist die Fantasie aber im Figurentheater, wo Musik, Figuren, Puppen, Schatten, Tanz einfließen, aber immer so, dass die Inhalte die Form bestimmen. All das gibt es bei uns.
intimacy-art: Ihr stärkster Antrieb liegt aber wohl in der Politik!
BERG: Ja, es geht mir aber weniger um Minderheiten als um das Gesamtbild einer Gesellschaft. Die vielen Sprachen der Straße Wiens gehören in den Lebens-Reflexionsspiegel "Theater" hinein, wo ich gewöhnlich aber nur eine Sprache höre. Diese Theater haben den Sprung in die heutige Zeit verpaßt. Im Schauspielhaus sind multisprachige Produktionen selbstverständlich und werden akzeptiert. Wir müssen nur den Schlüssel geben, wie man sie decodieren, interpretieren, verstehen kann. Das ist unsere Aufgabe als Theatermacher. Im Familientisch wurden auf total natürliche Weise sieben Sprachen verwendet.
intimacy-art: Dass es in der letzten Zeit politisch so viele anti-integrative Parolen gibt, ist das für Sie umso mehr ein Punkt, in diese Richtung zu gehen?
BERG: Parteipolitisch bin ich absolut unabhängig. Ich fühle mich aber durch diesen Haß, der gepredigt wird, bestärkt. Doch machen wir das nicht als Therapiegruppe oder integrative Einrichtung, sondern als hochprofessionelles Theater. Wie die internationalen Küchen, wo man Cevapcici, Sushi, Curry, Pasta essen geht, soll man im Theater auch mehr bekommen als nur Wiener Schnitzel. Dann können wir uns aber nicht nur das Angenehme aussuchen, sondern müssen das ganze Umfeld nehmen.
intimacy-art: Die Kulturstätten, zu denen Sie als Gastspiel gehen, scheinen sehr ausgewählt zu sein.
BERG: Ja, als inhaltsbezogener Mensch schreibe ich nicht Tausende von Briefen in die Welt, in der Hoffnung, dass irgendein Sponsoring oder Gastspiel herein kommen möge, sondern ich suche sehr gezielt Partner, von denen ich denke, es sei inhaltlich und ästhetisch richtig, zu kooperieren. Ein Puzzle-Spiel, das ich sehr vorsichtig aufbaue, sonst verpufft man viel Energie. Und das war sicher einer der Indikatoren, der zum Erfolg führte.

Österreichs Journalisten: zu schwerfällig

intimacy-art: Was hat Sie denn in den Jahren Ihrer Leitung am meisten geärgert oder gestört?
BERG: Manchmal ist die Rezeption in Wien ein bißchen schwerfällig. D.h., es hat sehr lange gedauert, bis man die Arbeit, die wir machen, verstanden hat. Aber nicht das Publikum, sondern eher die journalistische Ebene.
intimacy-art: Die alteingesessenen Kritiker ...
BERG: Aber wenn es sich herumspricht, dass es etwas Tolles gibt, kommen die Leute trotzdem. Man kann in Wien dank des theaterbesessenen Publikums über Mundpropaganda Stücke verkaufen, wie sonst in keiner anderen Stadt.
intimacy-art: Und wie erlebten Sie die Kulturpolitik?
BERG: Die stand immer hinter uns, sodass wir relativ schnell verlängert wurden.
intimacy-art: Sie kritisierten aber, dass erst jetzt die Max-Reinhardt-Seminar-Coproduktion funktionieren würde, nachdem ein neuer Leiter gekommen sei.
BERG: Was auch beim Konservatorium der Stadt Wien der Fall war. Etwas in Wien zu bewegen, dauert also seine Zeit, aber wenn man so obsessiv besessen ist wie ich, und freundlich und stetig immer wieder anklopft, dann kommen die Sachen ins Rollen.

Aufbruch in den Schauspielschulen

intimacy-art: Da es sich speziell beim Max-Reinhardt-Seminar um die bedeutendste Schauspielschule handelt: Glauben Sie, dass damit die künftige Schauspieler- und Regiegeneration in eine offenere Theaterwelt schreitet?
BERG: Junge Schauspieler müssen sich heute sicher an neuen Begebenheiten orientieren. Es wird weniger fixe Arbeitsplätze für Schauspieler in großen Ensembletheatern geben. Wobei die meiste Theaterarbeit, die viel aufregender ist, aber ohnehin ganz woanders stattfindet. Natürlich geht zunächst jeder in die Schaupielschule, um dann ans Burgtheater zu kommen. Nur kenne ich viele, die zwar am Burgtheater, dabei aber sehr unglücklich sind. Doch es gibt Alternativen, was auch die Ausbildungsstätten bedenken müssen. Entweder, um mehr Spaß, andere Projekte zu haben, oder zwischendurch zusätzlich zu arbeiten.
intimacy-art: Es splittet sich aber nicht nur formal auf, sondern der Schauspieler wird künftig noch andere Dinge können müssen.
BERG: Das war auch eine unserer Philosophien. Wir hatten ja nie ein fixes Ensemble, aber wenn man die Spielpläne ansieht, entsteht so etwas wie ein informelles Ensemble, das mit immer wieder unterschiedlichen RegisseurInnen arbeitet. Bei Ong Keng Sen mußte es einen Workshop bei einem Kabuki-Tänzer machen, Barrie Kosky lud eine Stepplehrerin ein, wonach das Ensemble im Stück steppte wie verrückt. Lauter tollle Erfahrungen, für Ensemble, Publikum!

Autoren lieber spielen als nur lesen

intimacy-art: Nun scheinen die großen wie kleineren Theater auf ihren ursprünglich gedachten Probebühnen kaum mehr Theaterexperimente zu machen, sondern nur noch Autoren-Lesungen abzuhalten. Auch Sie haben diesen Programmpunkt. Wird das insgesamt nicht zu viel?
BERG: Wir sind prinzipiell kein Autorentheater. Wir produzieren selbstentwickelte oder interpretierte klassische Arbeiten. Anders als Hans Gratzer 1, die Vor-Tabori-Zeit. Wir haben hier nur ein Lese-Fenster für Autoren, nicht unbedingt Theaterautoren. Und das läuft sehr gut. Bei uns ist es also nicht zu viel. Die großen Theater allerdings, könnten es eher wagen, diese Autoren auch einmal zu spielen, nicht nur zu lesen.

Kontinuität vor Verschleißfabrik

intimacy-art: Ein Unterschied besteht bei Ihnen noch zu anderen bzw. großen Häusern: wenn Stars oder Künstler eingeladen werden, werden jene kaum mit Stolz veröffentlicht. Beim Schauspielhaus spürt man, dass es stolz ist, jene bekommen zu haben, ohne Angst, dadurch möglicherweise als Direktor in den Schatten gedrängt zu werden.
BERG: Das macht wohl das Manko dieser Stadt am Diskurs aus. Viel zu wenige Künstler finden im Vorfeld Beachtung, sie werden auch nicht zu Interviews eingeladen, wie etwa von Treffpunkt Kultur. Da müßten die Medien und die Presse sicher noch genauer hinschauen, um sie einer neuen und breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln. Letztendlich funktioniert es aber dann doch durch die stetige Wiederholung. Barrie Kosky, David Mayaan, Ibrahim Quraishi, Ong Keng Sen sind so zu Stars geworden.
intimacy-art: Wobei Sie sich nicht dem Druck unterwerfen, andauernd jemand neuen präsentieren zu müssen.
BERG: Kontinuität ist mir wichtig. Und wenn einmal etwas nicht so klappt, haue ich denjenigen auch nicht gleich raus. Denn Künstertum und Scheitern gehören zusammen. Es ist sehr wichtig, sich der Kurzlebigkeit von
Beziehungen im Kulturbereich zu widersetzen; der Verschleiß an jungen Begabungen interessiert mich nicht, schlicht, weil ich keine Verschleißfabrik führen mag.

FAZIT: AIRAN BERG IST ALS MENSCH WENIGER AUFFÄLLIG ALS IN SEINER HARTNÄCKIGEN ÜBERZEUGUNG UND KÜNSTLER-TREUE. MÖGLICHERWEISE EIN MANN ZUM PFERDESTEHLEN UND DESHALB GUT FÜR DIE SZENE!

Programm-06/07-Vorschau Schauspielhaus Wien (Haupthaus):

Saray // Mozart alla turca / Ibrahim Quraishi
Quartett // von Heiner Müller / Peter Missotten
Arbeit ist Urlaub // Lustspiel (Gastspiel)
Beethoven in Camera // von Roman Paska
New New West Drama X Herbstausflug // 5 Regisseure (Gastspiel)
I am not the only one // Constanza Macras / Dorky Park
Der Ubu-Komplex // inspiriert von Alfred Jarry / David Maayan

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