Wednesday, March 21, 2007

AGNES HUSSLEIN-ARCO: "DEN SKANDAL MACHEN NUR DIE POLITIKER"


Voller Tatendrang: Neo-Belvedere-Direktorin Dr. Agnes Husslein-Arco (Foto © Werner Reichel, MdM Salzburg)


DIE ERSTE AUSSTELLUNG GARTENLUST DER NEUEN DIREKTORIN DES BELVEDERE, AGNES HUSSLEIN-ARCO, WURDE ERÖFFNET. TITEL UND STIMMUNG KLINGEN ZUMINDEST FRISCH UND ENERGETISCH. - DANEBEN KURATIERT SIE IN DER STAATSOPER FÜR DAS GANZE JAHR DEN AUSSTELLUNGSZYKLUS NOISE MIT ANGESAGTEN ZEITGENÖSSISCHEN KÜNSTLERINNEN ZWISCHEN 30 UND 40. - WIE ZEITGENÖSSISCH DIE HERBERT-BOECKL-ENKELIN TATSÄCHLICH IST, UND WIE SIE DEN MARKT AUFMISCHEN WILL, SAGT SIE HIER IM INTERVIEW. (e.o.)


"Lärm" für die Staatsoper

intimacy-art: Anfangs der Ausstellungsserie in der Wiener Staatsoper hieß es, die von Ihnen ausgewählten Künstlerinnen würden unbezahlt ein Thema zu einer laufenden Oper umzusetzen. - Dass das jetzt nicht so gekommen ist und die Künstlerinnen thematisch frei arbeiten können, freut also. Denn das wäre ihnen weder finanziell, noch künstlerisch gerecht geworden. - Wie paßt das vom Konzept her aber noch in dieses Opernambiente?
AGNES HUSSLEIN-ARCO: So ein tolles Haus wie die Oper muß anderes zulassen. Diese Plattform für diese innovativsten und hoch interessanten Künstlerinnen des 21. Jahrhunderts - sprich die Generation der 30- bis 40-jährigen -, ist diesbezüglich sehr spannend. Der Diskurs läuft über bildende und darstellende Kunst, wobei die Musik viel mehr verbunden ist. Und für die Künstlerinnen ist es außerdem eine tolle Chance, ein sehr großes Publikum zusätzlich anzusprechen, während Ioan Holender - sehr zufrieden - die positive Reaktion der Leute bemerkt. Selbst wenn jene eigentlich wegen der Oper hierher kommen, schaffen es die Künstlerinnen, dass die Besucher im - mit all den Gobelins sehr schwierig zu gestalteten Gustav-Mahler-Saal - hinschauen und über die interessanten Positionen nachdenken. Der Wunsch besteht daher, die Reihe weiter zu führen.
intimacy-art: Verglichen mit dem, was man hier bisher stehen und hängen sah, ist das vom künstlerischen Standpunkt aus tatsächlich ein Sprung.
HUSSLEIN-ARCO: Ja, ein Sprung, aber ein schwierig zu machender.
intimacy-art: Haben Sie die früheren Ausstellungen gesehen?
HUSSLEIN-ARCO: Ja, vor Jahren. Ich habe mir also sehr gut überlegt, wen ich ausstelle. Und wie gesagt: dieser Mahler-Saal ist an-sich, mit all den Lustern, ein in sich geschlossenes Kunstwerk mit ungemeiner Präsenz. Da muß eine Malerei bzw. ein/e Künstler/in schon sehr stark sein, um das unter Kontrolle zu halten und sich in eigener Position zu behaupten. Wobei das alle drei bisherigen Künstlerinnen auf andere Art schafften. Sodass ich mich dabei ertappe, mich mit Neugierde zu fragen, wie es wohl mit der Nächsten werden wird?
intimacy-art: Wir stellen also fest: die Themen sind frei, Materialkosten sind gedeckt. - Konnten die bisherigen Künstlerinnen aber auch etwas verkaufen?
HUSSLEIN-ARCO: Diese Künstlerinnen sind bereits alle international sehr und in Österreich bekannt. Sie brauchen also nichts zwecks "Verkaufes" zu machen. Sie haben ihre Händler und sind in sehr guten Galerien vertreten. Darum geht es hier also nicht wirklich.
intimacy-art: Haben Sie bei diesen Zeitgenossinnen zumindest das Gefühl, dass sie prinzipiell ein Gefühl für die Oper haben?
HUSSLEIN-ARCO: Teilweise. Die jetzige Künstlerin, Katrin Plavcak, hat eine besonders sensible, fast musi(kali)sche Darstellungsweise. Selbst viele Jahre Sängerin einer Indie-Popband, reagierte sie zwar nicht per se auf Jules Massenets Manon, hörte aber während des Malens dessen Musik. Sodass nun auch der Besucher in diesem Raum Musik hört, wenn man die Bilder betrachtet. - Wie musikalisch nun Esther Stocker bei Gaetano Donizettis La Fille du régiment sein wird, werden wir ab April erleben.
intimacy-art: Katrin Plavcak hat im Gespräch auch gesagt, dass sie die Geschichte der Manon kennt. Sie komme nur nicht "aufgesetzt" darin vor.
HUSSLEIN-ARCO: Im weiteren Sinn kann man alles miteinander verbinden. Das Schicksal der Manon, ein anderes Schicksal in Afrika ...
intimacy-art: Mit viel Phantasie, ja.
HUSSLEIN-ARCO: Mit Phantasie kann man immer einen Faden spinnen.
intimacy-art: Findet der Anspruch "Kunst ist frei" in diesem institutionellen Rahmen also statt?
HUSSLEIN-ARCO: Bezogen auf meine Künstlerinnen absolut, in der Oper ist es etwas anders. Dass mir Ioan Holdender völlig freie Hand gegeben hat, finde ich also ganz toll.

Katrin Plavcaks Werkserie zur Manon-Staatsoperninszenierung widmet sich in musikalischer Themenfreiheit Afrika, Insekten und Demokratie: narrativ, performativ, horrormäßig, politisch, visionär und gerechtigkeitsliebend. Inspiriert von der Schwester der Künstlerin, die in Mosambique Journalistin ist, hier: Immigrant 2002. Für die Bilder in der Staatsoper click: Noise/Plavcak/Oper Wien

Ein Skandal wird nicht geplant, der passiert

intimacy-art: Ihre Biografie zeigt, dass Sie eigentlich eine stark zeitgenössische Ader haben - Sie arbeiteten nach dem Studium in der Secession. Jetzt sind Sie als Belvedere-Direktorin eher für alte Kunst zuständig...
HUSSLEIN-ARCO: Ich habe mich immer mit zeitgenössischer Kunst beschäftigt, weil ich anhand meines Großvaters, Herbert Boeckl, erlebte, wie schwierig es für einen Künstler ist, den richtigen Ausstellungsort zu bekommen, den richtigen Händler, die richtigen Museen, also überhaupt sich in der Kunstgeschichte zu positionieren. Ich bin also beseelt und angetrieben vom Gedanken und Wunsch, zeitgenössische Künstler zu unterstützen. Das werde ich immer machen. Und auch zu einer Direktorin des Belvederes gehört es, Ausstellungen mit zeitgenössischer Kunst zu machen.
intimacy-art: Das 20-er-Haus für Gegenwartskunst wird ab 2008 unter Ihnen wieder eröffnet werden: Wissen Sie schon, wen und was dort zu zeigen? Kunst wie von Katrin Plavcak?
HUSSLEIN-ARCO: Durchaus. Junge, österreichische und internationale Kunst von 1945 bis heute. Es gibt aber schon im Belvedere Zeitgenössisches: ab 28. März die Belvedere-Intervention von Gudrun Kampl im Oberen Belvedere, wo sie Skulpturen des Hauses mit Texten "begeht". Dort soll ein Diskurs zwischen zeitgenössischer und alter Kunst stattfinden. Die alte Kunst muß mit dem Blick des 20. Jahrhunderts betreut werden.
intimacy-art: Noch nicht allzu lange, 2003, war der von Ihnen verantwortete Skandal mit Gelatin, jetzt Gelitin. - Planen Sie so einen Skandal auch als Belvedere-Direktorin?
HUSSLEIN-ARCO: Gelitin ist eine unheimlich interessante Künstlergruppe, was ich damals nur aus diesem Grund initiierte. Dass es dann zu einem Skandal wurde, lag nicht an mir oder den Künstlern, sondern an den Politikern, die es dazu machten. Ich plane solche Dinge nicht. Es passiert einfach. Ich habe in Salzburg immer wieder als Erste bisher unausgestellte, junge Künstler ausgestellt, weil ich sie einfach gut fand. Ich glaube also nach entsprechender Auseinandersetzung, beurteilen zu können, ob in einer Kunst Qualität liegt. Dazu werde ich dann auch stehen. Dabei kann und darf Kunst provozieren, weshalb vielleicht einmal dergleichen stattfinden wird. Nur wird es immer unbeabsichtigt, allein auf dem Kriterium "Qualität" beruhen.
intimacy-art: Gefällt Ihnen die Gelitin-Skulptur von damals noch?
HUSSLEIN-ARCO: Ja, natürlich. Das ist handwerklich eine ganz tolle Sache, die einen weiten Bogen spannt. Die Leute reduzieren das leider alles auf den erigierten Phallus, der aber nicht das zentrale Thema ist.
intimacy-art: Auch Markus Lüpertz Mozart-Figur hat als Haarschweif eine Phallusform.
HUSSLEIN-ARCO: Die ganze Kunstgeschichte besteht aus Phalli. Mann braucht sich nur den Marino Marini auf der Peggy Guggenheim-Terrasse anschauen. Es gibt so viele bedeutende Beispiele dafür. Solche Reduktionen sind also völlig lächerlich. Es wäre aber auch nicht zum Skandal geworden, wenn sich die Politiker nicht derart verhalten hätten.

Donizetti-Begleitausstellung im April 2007 von Esther Stocker (hier: Rauminstallation, 2004, Wandarbeit und Module mit schwarzem Klebeband, Installationsansicht AR/GE Kunst GalerieMuseum Bozen, Foto: © Martin Pardatscher) in der Staatsoper: wie sie den Gustav-Mahler-Saal wohl gestalten wird?

Von der Gehrer-Bestellten zur Schmied-Kooperatorin

intimacy-art: Womit wir bei der Politik wären: Sie sind doch selbst einmal zur ÖVP-Nationalratswahl angetreten...
HUSSLEIN-ARCO: Nein, nein, nein. Ich bin nie angetreten. Erhard Buseks Team hat mich nur einmal für ein Mandat nominiert. Das ist aber schon 15 Jahre her. Ich gehöre keiner politischen Partei an.
intimacy-art: Dennoch hat Sie die damalige ÖVP-Unterrichtsministerin Elisabeth Gehrer bestellt, die in der Kunstszene sehr umstritten ist. Glauben Sie, dass das auf die Zusammenarbeit mit der jetzigen Kunstministerin einen Schatten wirft, es für Sie schwierg werden könnte?
HUSSLEIN-ARCO: Elisabeth Gehrer war damals Bundesministerin. Mich hat eine extra eingesetzte Kommission, mit unter anderem internationalen Direktoren, einstimmig gewählt. Gehrer hat sich dem angeschlossen. Das hat nichts mit meiner Arbeit zu tun. Und wenn Ministerin Claudia Schmied eine so sachliche, zielorientierte Dame ist, wie ich es höre, wird wohl nur die Qualität durch gute Arbeit zählen. Alles andere steht nicht zur Diskussion.
intimacy-art: Es gibt einen verbindenden Punkt, worin Sie beide als sehr geschickt gelten: Im Sponsoring-Geschäft, das Sie beide forcieren wollen.
HUSSLEIN-ARCO: Sie kommt aus der Wirtschaft, wo ich im weiteren Sinn auch her komme, zumindest war ich lange dort tätig. Ich bin also auch ein wirtschafts- und erfolgsorientierter Mensch, dem es nur um die Sache geht. Und da müssen wir uns treffen.
intimacy-art: Aber es gibt doch sicher einen prinzipiellen Unterschied zwischen einem Menschen, der immer für Finanzen zuständig war, und jemandem wie Sie, der Kunst gelernt und immer für die Kunst gearbeitet hat.
HUSSLEIN-ARCO: Schon, aber sie soll eine große Sensibilität für Kunst haben, für die sie sich immer interessierte. In Amerika ist es selbstverständlich, dass Leute aus der Wirtschaft in die Kunst gehen und vice versa. Unserer Kunstszene wird es sicher sehr gut tun, wenn endlich auch Menschen aus anderen Bereichen eindringen und sie dadurch ein wenig aufmischen.
intimacy-art: Sie glauben also, dass Sie das doppelte Budget in der Höhe von neun Millionen Euro bekommen?
HUSSLEIN-ARCO: Ich brauche jedenfalls eine Aufstockung meines Budgets. Das liegt auf der Hand, wenn die Gehälter schon um über eine Million höher sind als die Grundbasis. Es ist im Gesetz vorgesehen, dass der Staat den Museumsbetrieb verantworten muss. Dann bin ich auch gerne bereit, Extra-Geld aufzutreiben. Für die Grundsicherung des Museums aber nicht.

Gartenlust lautet die Eröffnungsausstellung von Agnes Husslein-Arco unter ihrer neuen Direktion im Belvedere. Unter verschiedenen Garteninterpretationen, quer durch die Jahrhunderte: Claude Monets Weg in Monets Garten in Giverny, 1902, Belvedere Wien

Kein Abwerben, nur Herausforderung

intimacy-art: Sie haben nun vom geschicktesten Vermarkter der Szene, Klaus Albrecht Schröder von der Albertina, den Marketing-Stab abgeworben ...
HUSSLEIN-ARCO: Ich hab niemanden abgeworben, möchte ich bitte klar betonen. Das würde ich nie tun. Sondern die bei ihm fürs Marketing zuständige Dame hat sich bei mir beworben. Ich bin auch sehr glücklich über sie. Sie ist fantastisch und hilft mir sehr. So wie Ex-Albertina-Vizedirektor Alfred Weidinger als Chefkurator und Vizedirektor seit 1. März eine große Hilfe ist. Und die ehemalige Shopbetreuerin der Albertina, Katharina Schöller, auch.
intimacy-art: Es ist also niemand böse auf Sie, dass Sie die tollen Leute bekommen haben?
HUSSLEIN-ARCO: Ja, was soll ich machen? Reisende muß man ziehen lassen. Diese Leute haben es als Chance gesehen, ein altes Haus neu zu positionieren. Und ich habe mir lange überlegt, sie einzustellen. Warum hätte ich es aber nicht tun sollen?
intimacy-art: Offensichtlich zeugt es auch von Ihrem guten Ruf im menschlichen Umgang.
HUSSLEIN-ARCO: Sie wirken zumindest ganz glücklich, ja. Aber ich glaube, der Hauptfaktor war doch die Herausforderung der Aufgabe.
intimacy-art: Und was ist das Wichtigste, was Sie anders als Vorgänger Gerbert Frodl machen wollen?
HUSSLEIN-ARCO: Dass das Untere Belvedere ebenfalls geöffnet, die Orangerie neu bespielt wird, und die Kommunikation nach außen besser wird. Es wird viel mehr Marketing geben, Veranstaltungen, es wird alles jünger und frischer werden.
intimacy-art: Und sollen mehr Österreicher ins Belvedere kommen?
HUSSLEIN-ARCO: Das ist in die Maßnahmen einbezogen: 80 Prozent der Besucher sind derzeit Touristen, was sich zugunsten der Wiener und Österreicher zu einem Bewußtsein für "ihr" Belvedere ausgleichen soll. Es wird auch einladender. Vom Schwarzenbergplatz aus ist es ab jetzt zu Fuß leicht mit neuer Eingangssituation zu finden.
intimacy-art: Sie eröffnen mit der Ausstellung "Gartenlust" in der Orangerie. Gibt es da echte Blumen?
HUSSLEIN-ARCO: Nein, die haben Sie ja vor der Nase. Drinnen gibt es Bilder, vom Mittelalter bis heute. Der Garten ist ein Riesenthema in der Kunst, ganz verschieden interpretiert, im Mittelalter als Hortus Conclusus, die Barockgärten im Stil Belottos, im 19. Jahrhundert als englischer und offener Garten, von Impressionisten wie Monet, von Nolde, und vor der Türe, gibt es - ganz toll, wie gesagt - den original barocken Garten: den Kammergarten, der normalerweise fürs Publikum unbetretbar ist. Der wurde jetzt hergerichtet.

Museums-Interventionen sind momentan der große Renner. Zuletzt war Elke Krystufek im MAK, Gudrun Kampl wird es ab 28.3.07 im Belvedere sein. Hier: Installation 2007


FAZIT WURDE ZEIT, DASS EINE FRAU DIREKTORIN EINES WIENER MUSEUMS GEWORDEN IST. SIE ZEIGT AUCH GLEICH FEMININES GESPÜR FÜR GARTENFREUDEN. UND STÜRZT SICH OHNE VERLEGENHEIT IN DEN KONKURRENZKAMPF: MODERN, INTERNATIONAL-ÖSTERREICHISCH UND KOMMUNIKATIV SOLL´S SEIN. OB´S AUCH WIRD, WERDEN WIR SEHEN!

Jetzt im Belvedere:
* AUSSTELLUNG Phantastischer Realismus: Neben den Hauptwerken der fünf großen Meister - Arik Brauer, Ernst Fuchs, Rudolf Hausner, Wolfgang Hutter und Anton Lehmden - werden auch Vorgeschichte und Kontext dieser speziellen Strömung spätmoderner Kunst präsentiert. * Ort: Unteres Belvedere * Zeit: 20.5. bis 14.9.2008
* AUSTELLUNG Schenkungen an das Belvedere von Thaddaeus Ropac (Werke von: Julius Deutschbauer, Walter Obholzer, Gerwald Rockenschaub, Hubert Scheibl und Erwin Wurm) * Ort: Orangerie, Unteres Belvedere * Zeit: 30.5. bis 21.9.2008

Nachlese AUSSTELLUNGEN Noise / Staatsoper.
Von der Kunst der Malerei im Gustav Mahler Saal, Staatsoper Wien * Kuratiert von Agnes Husslein-Arco:
* Katrin Plavcak anläßlich der Premiere von Manon (Jules Massenet) bis 25.3.2007
* Esther Stocker anläßlich der Premiere von La Fille du régiment (Gaetano Donizetti); Vernissage: 1.4., 11h bis 17.5.2007
* Maja Vukoje anläßlich der Premiere von Boris Godunow (Modest P. Mussorgski); Vernissage: 23.5., 19h bis Ende Juni 2007

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